Die Tücken von Functional Food
Milchprodukte, Brot, Margarine oder Getränke – beim Gang durch den Supermarkt treffen Verbraucher immer wieder auf Lebensmittel, die vermeintlich die Abwehrkräfte stärken, eine gesunde Darmflora unterstützen oder den Cholesterinspiegel senken sollen. Produkte, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen, werden funktionelle Lebensmittel oder „Functional Food“ genannt.
Im Gegensatz zu Nahrungsergänzungsmitteln handelt es sich bei den funktionellen Lebensmitteln nicht um Nährstoffkonzentrate wie bei Vitamintabletten, sondern um Lebensmittel in ihrer typischen Form. Als funktionelle Zutaten kommen neben Vitaminen, Mineralstoffen und Fettsäuren auch probiotisch wirkende Mikroorganismen oder Pflanzenstoffe wie Ginkgo, Aloe Vera, Guarana oder Bioflavonoide zum Einsatz.
Obwohl sie meist deutlich teurer sind als herkömmliche Produkte, ist die Nachfrage groß: Laut einer Online-Befragung des Marktforschungsinstituts IPSOS kauft knapp jeder zweite Deutsche mehrmals im Monat Nahrungsmittel mit gesundheitlichem Zusatznutzen. Zwei Drittel sind sogar bereit, für funktionelle Lebensmittel mehr zu bezahlen. Besonders beliebt sind demnach immunstärkende Lebensmittel.
Werben Hersteller mit nährstoff- oder gesundheitsbezogenen Angaben wie „enthält Kalzium“, „reich an Ballaststoffen“, „cholesterinsenkend“ oder „immunstärkend“, dann muss das Produkt die Regelungen der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben erfüllen, der so genannten Health-Claims-Verordnung. Mit dem Ziel, eine Irreführung der Verbraucher zu vermeiden, sind seit 2012 Gesundheitsversprechen auf Lebensmittelpackungen nur noch dann erlaubt, wenn sie wissenschaftlich nachweisbar sind.
Health-Claims-Verordnung
Werben Hersteller mit nährstoff- oder gesundheitsbezogenen Angaben wie „enthält Kalzium“, „reich an Ballaststoffen“, „cholesterinsenkend“ oder „immunstärkend“, dann muss das Produkt die Regelungen der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben erfüllen, der so genannten Health-Claims-Verordnung. Mit dem Ziel, eine Irreführung der Verbraucher zu vermeiden, sind seit 2012 Gesundheitsversprechen auf Lebensmittelpackungen nur noch dann erlaubt, wenn sie wissenschaftlich nachweisbar sind.
Doch auch wenn beispielsweise Vitamin C die Abwehrkräfte stärken kann, heißt das nicht, dass die damit beworbenen Produkte automatisch sinnvoll und notwendig sind, kritisiert Oliver Huizinga von Foodwatch. Die Verbraucherschutzorganisation hat in einer Studie mehr als 600 Lebensmittel untersucht, die mit Vitaminen werben. Ergebnis: Von den etwa 200 Produkten in Deutschland waren 90 Prozent zu süß, fettig oder salzig und entsprachen nicht den Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für ausgewogene Lebensmittel. „Das ist nicht so, wie die Health-Claims-Verordnung mal gedacht war. Sie sollte eigentlich verhindern, dass ungesunde Produkte als gesund beworben werden. Das Gegenteil ist eingetreten. Jetzt dürfen Hersteller ganz legal mit Segen der EU zuckrige Produkte, Süßwaren, salzige Produkte mit Gesundheitsbotschaften versehen“, so Huizinga.
Im schlimmsten Fall könne dies sogar gefährlich werden, glaubt der Verbraucherschützer. Beispiel: Energy-Drinks, die mit B-Vitaminen werben und Leistungssteigerung versprechen. „Die Produkte enthalten sehr viel (flüssigen) Zucker und fördern damit die Entstehung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Zudem enthalten sie große Mengen Koffein und werden von Kindern und Jugendlichen regelmäßig überdosiert.“ Auf der Verpackung werde jedoch dank der Health Claims-Verordnung ganz legal versprochen, dass leistungssteigernde Effekte mit dem Konsum einhergehen. Das sei weder im Sinne des Verbraucherschutzes noch des Gesundheitsschutzes von Kindern und Jugendlichen.
Interview: "Lieber ausgewogen ernähren"
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält funktionelle Lebensmittel nicht per se für schlecht, warnt aber vor einer Überschätzung. Isabelle C. Keller, Diplom-Oecotrophologin bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DEG) in Bonn, verrät, worauf Verbraucher achten sollten.
Viele Menschen ernähren sich ungesund. Ist es da nicht sinnvoll, auf funktionelle Lebensmittel zu setzen?
Keller: Funktionelle Lebensmittel bieten noch lange keine Garantie für eine ausgewogene Ernährung und können diese definitiv nicht ersetzen. Auch Ernährungsfehler können nicht unbedingt durch den Verzehr solcher Lebensmittel beseitigt werden. Sie können in bestimmten Lebenssituationen jedoch eine ausgewogene Ernährung ergänzen.
In welchen Fällen zum Beispiel?
Keller: Etwa, wenn es darum geht, kritische Nährstoffe auszugleichen. So können mit Mikro-Algenölen angereicherte Lebensmittel bei Veganern sinnvoll sein, die keinen Fisch essen, der ein guter Lieferant für langkettige Omega-3-Fettsäuren ist. Ebenso können Veganer oder Menschen mit Milchzuckerunverträglichkeit mit Kalzium unterversorgt sein. Hier können mit Kalzium angereicherte Obstsäfte, angereicherte Soja- oder Haferdrinks einen wichtigen Beitrag leisten.
Wann sollte man eher vorsichtig sein?
Keller: Immer dann, wenn eine ernährungsbedingte Krankheit vorliegt. So kann zwar eine Margarine mit Phytosterolen hilfreich bei schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder erhöhten Blutfettwerten sein. Doch die Zufuhr solcher Lebensmittel sollte immer in Absprache mit dem Arzt erfolgen, weil gleichzeitig die Medikamentendosis angepasst werden muss. Ähnliches gilt bei Personen mit schweren Allergien und Unverträglichkeiten, bei denen die Lebensmittelauswahl stark eingeschränkt ist. In diesem Fall sollte lieber eine qualifizierte Ernährungsberatung erfolgen.
Gerade Babys und Kinder sind ein großer Markt für Functional Food. Was raten Sie Eltern?
Keller: Funktionelle Lebensmittel sind für Kinder definitiv nicht notwendig. Gerade Produkte, die speziell für Kinder ausgelobt werden, sind nicht besser. Eltern sollten daher lieber auf eine ausgewogene Lebensmittelauswahl achten und ihnen täglich Gemüse, Obst und Milchprodukte anbieten. Gerade bei Kleinkindern steht das Essen lernen im Vordergrund, also das Kennenlernen von Lebensmitteln, das Verhalten drum herum wie gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch und die Vorbildfunktion durch das, was die Eltern essen.
Wie kann man als Erwachsener seinen Nährstoffbedarf ohne funktionelle Lebensmittel decken?
Keller: Durch die richtige Zusammensetzung der Ernährung. Im Mittelpunkt sollten pflanzliche Lebensmittel stehen wie Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkorn-Getreideprodukte, Nüsse, Samen und hochwertige Pflanzenöle. Auch gehören fettarme Milch und Milchprodukte täglich auf den Tisch. Weitere tierische Lebensmittel wie, Fisch, Fleisch oder Eier sollten nur einen kleinen Teil ausmachen. Damit macht man schon viel richtig. Die DGE hat auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zehn Regeln formuliert, die helfen, genussvoll und gesund zu essen. Diese sind auf unserer Internetseite www.dge.de nachzulesen.