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Eis oder Eisbein? Irrtümer beim Schwimmen

Was ist im kühlen Nass am gefährlichsten, und wo sorgen wir uns umsonst? Noch immer kursieren in unserer Gesellschaft viele Halbwahrheiten über den Badesport. Ein Experte der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft bietet Aufklärung.

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„Geh nicht mit vollem Bauch ins Wasser!“ Fast jeder hat diese Warnung von Eltern und Lehrern mehr als einmal gehört. Ob zurecht, wird immer wieder diskutiert. „Es gibt nach wie vor keine vernünftige, verlässliche Untersuchung zu dieser Frage.“, erklärt Dr. Ulrich Jost, stellvertretender Bundesarzt der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Aber selbst wenn es noch immer keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema gibt, kann der Mediziner beruhigen: „In der Zwischenzeit kann der gesunde Menschenverstand diese Frage beantworten: Eisbein mit Sauerkraut und zwei Maß Bier direkt vorm Schwimmen sind wohl kein guter Plan. Aber ein Kind, das eben ein Eis gegessen hat, muss nicht gleich zwei Stunden aufs Schwimmvergnügen warten.“

Leerer Magen auch nicht gut

Doch nicht nur ein allzu voller, sondern auch ein leerer Magen ist nicht gut. „Vor dem Schwimmen sollte man wirklich nicht stundenlang hungern. Dem Körper gehen schnell die Kräfte aus und er bekommt Probleme, sich über Wasser zu halten“, so der Experte Jost. Er verweist auf eine klare, einfache Baderegel der DLRG: „Gehe niemals mit vollem oder ganz leerem Magen ins Wasser.“ Man sollte also wirklich nie unterzuckert ins Schwimmbecken oder in den See hüpfen. Das kann noch gefährlicher sein als ein voller Bauch.

Abkühlung vorm kühlen Nass

Ein weiterer Ratschlag ist auf keinen Fall ein streitbarer Mythos: Vor dem Schwimmen sollte man sich abkühlen. Der plötzliche Temperaturunterschied zwischen Luft und Wasser kann im Körper großen Stress verursachen, leicht kommt es zu Kreislaufproblemen. Menschen können ohnmächtig werden, oder im schlimmsten Fall sogar einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleiden. Deshalb sollte man vorher immer kühl duschen, oder nur ganz langsam ins Wasser steigen und Gesicht und Oberkörper vorher mit kaltem Wasser befeuchten.

Land der Schwimmer?

„In Deutschland kann doch so gut wie jeder schwimmen. Das lernt man schon als Kind.“ Ist diese Aussage heutzutage (noch) wahr? Die aktuellsten Zahlen der DLRG sind hier jedenfalls ernüchternd. In einer Studie bezeichneten sich 52 Prozent der Befragten selbst als „Nichtschwimmer“ oder „unsichere Schwimmer“. Mehr als die Hälfte der Interviewten wären also im Wasser kaum in der Lage, sich selbst zu retten. Ulrich Jost sieht einen klaren Trend: „Die Schwimmfähigkeit der deutschen Bevölkerung hat sich weiter verschlechtert.“

Der DLRG-Mediziner ist aufgrund der aktuellen Entwicklungen auch nicht zu optimistisch: „Bäderschließungen und die Umwandlung von Schwimmbädern in ‚Spaßbäder‘ oder Thermen sind nicht hilfreich dabei, Heranwachsende zu guten Schwimmern zu machen.“ Auch die Pandemie hat laut Jost ihre Spuren hinterlassen: „Der letzte Sommer hat nicht gereicht, Defizite in der Schwimmkompetenz auszugleichen. Es gibt zwar unzählige motivierte Kinder und engagierte Eltern. Das Üben war aber nur in Freibädern möglich, und das mit starker Wetterabhängigkeit und strengen Zugangsbeschränkungen. Das Interesse ist eigentlich hoch, aber Wartelisten für Anfängerschwimmkurse sind lang.“

Und noch einen klassischen Irrglauben kann der stellvertretende Bundesarzt letztlich ausräumen: Das Meer ist entgegen vieler Meinungen nicht der gefährlichste Badeort. Im Jahr 2020 ertranken in deutschen Seen, Teichen und Flüssen 305 Menschen. Im Meer waren es 21: „Die Küsten sind meist bewacht. Es sind unbewachte Flüsse und Baggerseen, wo so viele tödliche Unfälle passieren. Besonders die Gefahr fließender Gewässer oder naher Boote und Schiffe wird oft unterschätzt.“

Zur Person

Dr. med Ulrich Jost ist stellvertretender Bundesarzt der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e. V. (DLRG).