Der Kühlschrank ist zu voll, die Gurke schimmelt und der Joghurt ist abgelaufen. Ein Griff zum Mülleimer und weg damit. Manchmal schleicht sich dabei der Hauch eines schlechten Gewissens ein. Die Wegwerfgesellschaft sollte in vielerlei Hinsicht zum Auslaufmodell werden. Anne-Catrin Hummel von der Welthungerhilfe gibt einige Denkanstöße.
Täglich landen Unmengen von Lebensmitteln in den Tonnen. Woran liegt das? Wir müssen zwischen Lebensmittelverschwendung und Lebensmittelverlusten unterscheiden. Bei ersterem sind es häufig ästhetische Gründe, wenn zum Beispiel Obst und Gemüse aussortiert wird, weil es nicht den klassischen Schönheitsidealen entspricht: die zu krumme Gurke, die zu kleine Kartoffel oder der nicht glänzend polierte Apfel. Darüber hinaus fehlt zum Teil auch ein Bewusstsein für den echten Wert der Lebensmittel. Im weltweiten und sogar auch europäischen Vergleich, sind die Lebensmittel in Deutschland sehr günstig und bilden häufig nicht den realen Wert des Produktes ab. Außerdem verwechseln viele Konsumenten das Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem Verbrauchsdatum. Das Verbrauchsdatum verderblicher Ware, zum Beispiel bei frischem Fisch oder frischem Fleisch, sollte definitiv beachtet werden. Bei den meisten anderen Waren hilft es, die eigenen Sinne einzusetzen: ansehen, riechen, probieren. Lebensmittelverschwendung findet jedoch nicht nur bei uns Endkonsumenten, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette statt: von dem Anbau auf dem Feld, über die Lebensmittelverarbeitende Industrie, im Handel, in der Gastronomie und den Großküchen sowie schließlich bei uns zu Hause in der Küche. Ein Problem der Entwicklungsländer sind außerdem Lebensmittelverluste. Mangelhafte Lagerung oder Trocknung sind Hauptgründe für hohe Nachernteverluste und tragen dazu bei, dass viele Kleinbauern kaum Erträge über den Eigenbedarf hinaus erwirtschaften können. Vor allem Schädlinge wie Nager, Käfer und Motten sowie Schimmelpilze und Fäulnisbakterien führen bei der Lagerung zu Einbußen. Hinzu kommen Verluste bei der Ernte, während des Transports und in der Verarbeitung.
Welche Auswirkungen hat diese Verschwendung auf das Klima? Alle Lebensmittel haben einen Lebenslauf. Wenn wir einen Apfel oder eine Avocado nur halb essen und den Rest wegwerfen, verschwenden wir nicht nur das kostbare Lebensmittel, sondern auch all die wertvollen und zunehmend knappen Ressourcen, die in das Produkt geflossen sind: Nährstoffe aus dem Boden, Grund- und Regenwasser, sowie insbesondere beim Beispiel der Avocado die Energie und Treibhausgase für den Transportweg. Ein Drittel der weltweiten, jährlichen Treibhausgase entsteht durch die Herstellung von Lebensmitteln und ihren Transport. Würden keine essbaren Nahrungsmittel mehr weggeworfen werden, könnten wir laut der Klimawandel-Studie des WWF 40 Millionen Tonnen Treibhausgase jährlich einsparen.
Würden tatsächlich weniger Menschen hungern, wenn weniger Lebensmittel im Müll landen würden? Rund 811 Millionen Menschen hungern und das obwohl noch nie zuvor so viele Lebensmittel angebaut und hergestellt wurden. Dass wir in den Industrie- und Schwellenländern billige Nahrungsmittel im großen Stil konsumieren und dazu auch auf Ressourcen aus Ländern zurückgreifen, in denen Menschen in Armut und Hunger leben, ist aus moralischer Sicht bereits fragwürdig. Wenn wir diese Lebensmittel dann aber noch in großem Maße verschwenden, ist dies ein Skandal. In Deutschland werfen wir pro Kopf jährlich Lebensmittel im Wert von rund 235 Euro weg. Der tatsächliche Preis unseres Konsums ist jedoch weitaus höher: Wir vergeuden wertvolle Energie-, Land- und Wasserressourcen, die zur Herstellung von Nahrungsmitteln benötigt werden. Durch den Ausstoß von Schadstoffen bei der Produktion wird der Klimawandel unnötig verstärkt. Die Folgen – wie Dürrekatastrophen und Überschwemmungen – treffen vor allem Bauern in Entwicklungsländern.
Ernährung für alle Menschen
Wie können im Jahr 2050 etwa 10 Milliarden Menschen gleichermaßen gesund ernährt werden, ohne den Planeten zu zerstören? Mit diesem Thema beschäftigte sich die EAT Lancet Kommission, der 37 Wissenschaftler aus 16 Nationen.
Was kann jeder Einzelne tun? Es gibt ganz einfache Maßnahmen, die aber schon viel bewirken. Ein Beispiel ist die genaue Planung des Wocheneinkaufs und sich an diese Liste zu halten. Reste im Kühl- oder Küchenschrank tatsächlich verbrauchen und so neue Gerichte zusammenstellen. Obst und Gemüse richtig zu Hause zu lagern ist ein weiterer Punkt: Möhren im Gemüsefach des Kühlschranks, Äpfel nicht neben Zitrusfrüchte, Zwiebeln und Kartoffeln getrennt dunkel und kühl lagern. Große Brote können halbiert und eingefroren werden. Es gibt außerdem zahlreiche Initiativen die sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen und die man unterstützen kann. Dazu gehören unter anderem die Tafeln, Foodsharing sowie Too Good to go.
Zur Person
Anne-Catrin Hummel ist Referentin für Agrar- und Ernährungspolitik in der Stabsstelle Politik und Außenbeziehungen bei der Welthungerhilfe in Bonn. Sie beschäftigt sich mit den Themen Lebensmittelverschwendung, Nahrungsmittelpreise und der ländlichen Entwicklung.