Tanzen – das ist offensichtlich – kann auf den Körper wie ein Fitnessprogramm wirken. Denn je nach Intensität und Art der Tänze werden Kreislauf, Muskulatur und Koordination ganz erheblich beansprucht. Überraschend ist aber, dass Tanzsport großen Einfluss auf die Gehirnfunktion hat. Eine Gruppe aus Neurologen und Sportwissenschaftlern der Universitätsklinik Magdeburg erforschte diesen Effekt. Studienleiterin Prof. Anita Hökelmann berichtet im Gespräch mit Dock, warum Tanz so ein wichtiger Sport ist.
Frau Prof. Hökelmann, was haben Sie genau untersucht?
In einer Längsschnittstudie hat eine Gruppe Freiwilliger über fünf Jahre lang ein Kraft- und Ausdauersport-Programm aus zyklischen Bewegungen absolviert. Das sind Aktivitäten wie etwa Gehen, Radfahren und Schwimmen. Die andere Gruppe übte azyklische Bewegungen. Sie erlernte viele Tanzgenres mit komplexen Bewegungen und Choreographien in verschiedenen Formationen. An allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen wurden MRT-Untersuchungen gemacht, außerdem wurden kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis gemessen. Auch die Entwicklung von Ausdauer, Gleichgewicht und Reaktionsfähigkeit wurde überprüft.
Was ist das Ergebnis? Ist Tanz ein ernstzunehmender, gesunder Sport?
Die Erkenntnis ist: Wir sollten auf Tanzen als Sport keinesfalls herabblicken. Im Gegenteil. Nicht nur hat es die gleiche Auswirkung auf die Ausdauer wie klassische Ausdauersportarten. Noch viel bemerkenswerter ist, dass es die zentrale Schaltstelle des Körpers, also das Gehirn trainiert. Der soziale Faktor und der Spaß am Tanz sind natürlich auch wichtige Aspekte für die Gesundheit, aber wir sprechen hier von sportivem Tanz, der hohe Ansprüche stellt und Ausdauer und permanentes Lernen fordert. Bewegungskombinationen werden immer neu variiert und erweitert, neue Schritte werden kreiert. Das hat wichtige Effekte.
Wie erzeugt Tanzen diese positive Wirkung auf Körper und Geist?
Sportiver Tanz, bei dem immer wieder neue körperliche Bewegungsabfolgen einstudiert werden, fordert viel Anstrengung von uns. Wir müssen uns koordinieren, im Raum orientieren, und uns immer neue Choreographien merken. Das erzeugt großen, positiven Leistungsdruck aufs Gehirn. Hier ist eine relativ junge wissenschaftliche Erkenntnis wichtig. Es geht um „Neurogenese“. Das heißt: Auch erwachsene Menschen können neue Nervenzellen bilden, die durch Lernprozesse in Netzwerke integriert werden und zur Anhäufung der wichtigen grauen und weißen Masse im Gehirn beitragen. Der Abbau von Nervenzellen kann also nicht nur gestoppt, sondern bis zu einem gewissen Grad auch rückgängig gemacht werden. Das passiert aber nur durch Flexibilität, Aktivität und ständige Anpassung. Wer nicht ruht, kann Geist und Körper auch im Alter stärken.
Hat der musikalische Aspekt beim Tanzen eine spezifische Bedeutung?
Die Musik ist beim Tanzen natürlich zentral: Der Rhythmus schafft einen Zeitdruck und fordert unsere kognitive Leistung, indem er vorgibt, wie schnell wir die Bewegungen ausführen. Davon abgesehen wirkt Musik auf Menschen äußerst motivierend. Sie macht uns aufgeschlossener, lockerer und fröhlich. Das ist eine ganz essenzielle Voraussetzung für regelmäßiges Training. Auch bei Aerobic-Kursen und im Fitnessstudio läuft motivierende Musik. Dort unterstützt sie aber nicht so den Lerneffekt wie beim Tanzen.
Ist Tanz-Training generell eher für ältere Menschen sinnvoll?
Je jünger Sie damit anfangen, umso besser. Der menschliche Körper ist generell nur bis 30 im Aufbau, danach beginnt der Rückgang. Diesen kann man aber verlangsamen. Mit viel Bewegung und guter Muskulatur und Haltung können wir bis Mitte 50 auf einem ganz hohen Level bleiben. Also am besten jung ein hohes Leistungsniveau erreichen und dadurch im Alter viel länger fit bleiben.
Wie und wie oft sollte man trainieren?
Unsere Evaluation sagt: Zweimal die Woche 90 Minuten sind ein gutes Minimum, das inkludiert auch Aufwärmübungen. Mit einem Mal pro Woche kann man schon das Leistungsniveau halten, aber man sollte sich ja steigern. Spätestens alle vier Wochen sollten neue Choreographien gelernt werden, am besten aber jede Woche. Wichtig ist auch die Art des Tanzes. Ein europäischer Standardtanz ist etwa nicht so zielführend wie Jazz Dance. Es geht darum, alle Körperregionen einzusetzen und die Balance zu fordern, anstatt nur kleine Schritte wie bei einem Teekränzchen zu machen.