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Fortschritte in der Diabetes-Behandlung

Im Interview erklärt Prof. Dr. med. Michael Nauck wie sich die Behandlung von Diabetes mellitus über die Jahre verändert hat und welche Fortschritte in der Forschung gemacht werden.

Qualitätssicherung: Prof. Dr. med. Michael Nauck

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Wie gut kann man heutzutage mit Diabetes Typ-1 leben im Vergleich zu von vor 20 Jahren?

Der Unterschied von vor 20 Jahren ist schon gewaltig. Damals habe ich als Chefarzt in einer Diabetes-Klinik gearbeitet. Da war die Kontrolle des Stoffwechsels nur möglich über die Selbstmessung durch das Pricken in den Finger und die Gewinnung eines Bluttropfes. Den konnte man auf einen Teststreifen übertragen und maschinell einlesen. So bekam man den punktuellen Blutzuckerwert. 4-Mal am Tag wurde das empfohlen. Wie die Werte dazwischen waren, blieb auf der Strecke. Heute würde ein Mensch mit Typ-1 Diabetes sehr häufig Gebrauch machen von sogenannten kontinuierlichen Glukose-Messinstrumenten. Wo ein Sensor unter der Haut liegt, der so häufig abgefragt werden kann, wie man will. Oder in Form einer kontinuierlichen Kurve auf einem Smartphone abgebildet wird. Mit den Informationen der kontinuierlich gemessenen Blutzuckerverläufe, kann die Insulinabgabe über die Insulinpumpte mittlerweile vollautomatisiert gesteuert werden.

Noch sind das aber keine perfekten Methoden. Einen Blutzuckerspiegel, wie bei einem gesunden Menschen, lassen sich dadurch nicht erreichen, weil die Bauchspeicheldrüse nicht nur durch den Zucker im Blut gesteuert wird. Auch Darmhormone, die während des Verdauungsprozesses ausgeschüttet werden, spielen hier eine wichtige Rolle. Diesen Input, dass gerade etwas gegessen wird, muss weiterhin in die Insulinpumpe hineingegeben werden. Aber im Vergleich zum Stand vor 20 Jahren werden Diabetes Typ-1 Patienten heute sehr viel besser unterstützt.

Und welche Fortschritte gab es bei der Behandlung von Diabetes Typ-2?

Für Diabetes Typ-2 Patienten gab es vor 20 Jahren wenig Medikamente. Da hatte man Insulin, Metformin und Harnstoffe. Heute haben wir Präparate, die viel einfacher zu handhaben sind.

Es begann mit der Entwicklung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten und später der DPP4 Hemmer. Das sind Arzneistoffe, die die Eigenschaften der bereits benannten Darmhormone nutzen. Sie steigern auf eine sehr natürliche Weise die Insulinsekretion (Insulinabgabe). Und zwar streng in Abhängigkeit des vorhandenen Blutzuckers. Das heißt: Ist der Blutzucker niedrig, wirken sie gar nicht. Ist er hoch, wirken sie sehr stark. Ein Unterzuckern, wie bei einer zu hohen Gabe von Insulin, ist damit quasi ausgeschlossen.

Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten senken zusätzlich bei hohem Blutzucker das Glukagon. Dieses Hormon ist dafür verantwortlich, wie viel Zucker die Leber produziert. Das ist der Grund, warum diese Medikamente sehr deutlich wirken. Sie helfen auch das Köpergewicht deutlich zu verringen.

Über die Jahre hat man bei den genannten und anderen Antidiabetika – wie SGLT-2-Inhibitoren – noch weitere Wirkungen festgestellt: Sie senken das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und ähnliche kardiovaskuläre Erkrankungen deutlich. Es ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes und Übergewicht ein massiv erhöhtes Risiko für diese Krankheiten haben. Jetzt hatte man eine Möglichkeit, das zu verringern.

Welche neuen Erkenntnisse wurden in den letzten Jahren in der Forschung und Behandlung von Diabetes-Typ-1 gewonnen?

Wir wissen, dass einem Typ-1 Patienten die Insulin-produzierenden Beta-Zellen fehlen. Das sind spezielle Zellen, die in den sogenannten Langerhans-Inseln in der Bauchspeicheldrüse das Insulin produzieren und bei Bedarf abgeben. Die Idee ist also naheliegend, solche Zellen von außen zuzuführen. Bei der Transplantation einer Bauchspeicheldrüse - oder Teilen derer - müssen im Nachhinein starke immunrepressive Medikamente verabreicht werden, die Folgekrankheiten provozieren können. Deshalb ist die Idee nun, in einer individuellen Therapie, Stammzellen eines Patienten zu Beta-Zellen gezielt heranzuzüchten. Diese Zellen werden dann vom Immunsystem desselben Patienten nicht als fremd erkannt und damit auch nicht abgestoßen.

Das Anzüchten in einer Petrischale bringt aber das Problem mit sich, dass man Zellen verwenden muss, die stark wachsen – sonst bekommt man nie eine ausreichende Menge zusammen. Sie verhalten sich also wie Tumorzellen! Die berechtigten Bedenken sind also: Kann man das wieder stoppen? Niemand möchte einem Patienten einen Tumor verpflanzen. Deswegen ist der Fortschritt auf diesem Gebiet sehr sehr langsam.

Wie wahrscheinlich ist heutzutage eine komplette Heilung von Diabetes-Typ-2?

Es gibt eine hochgekochte Diskussion über die Remission von Diabetes Typ-2, also die vollständige Rückkehr zu normalen Blutzuckerwerten. Dafür braucht es einschneidende Gewichtsreduktionsprogramme über sogenannte Formula-Diäten. Das sind vorbereitete Mahlzeiten in meist flüssiger Form. Knapp die Hälfte der Patienten nehmen dadurch im Schnitt nach einem halben Jahr 10–15 Kilo ab. Und auch nur bei ihnen tritt dann eine Diabetes Remission ein.

Aus Studien wissen wir aber nun, dass der Gewichtsverlust schon nach 2 Jahren bei diesen Patienten nicht mehr so ausgeprägt ist. Das ist ein harter Kampf, das sollte man nicht beschönigen. Die Frage ist also: Wie lange kann man und möchte man das durchhalten. Wenn nicht, geht es nach und nach wieder zurück zum Diabetes. Darüber kann man also diskutieren – wie therapeutisch wertvoll diese sehr anstrengende Formula-Diät ist.

Und wie schützt man sich am besten präventiv vor einer Diabeteserkrankung?

Wir beklagen bei über der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung Übergewicht. Und das liegt vor allem an geänderten äußeren Umständen wie Ernährungsweisen und die Menge an Energie, die wir durch körperliche Aktivität verbrauchen. Wenn man früher den ganzen Tag den Pflug hinterm Ochsen übers Feld gezogen hat, war das kein Thema. Heute sitzen wir in Büros oder im Auto.

Also muss man sich für ausreichende körperliche Aktivität aufraffen. Man ist sich ziemlich einig, dass eine halbe Stunde Bewegung - an 5 Tagen in der Woche - schon einen wichtigen nachweislich schützenden Beitrag leistet. Wobei das keine schweißtreibende Aktivität sein muss. Da reicht sowas wie Spazierengehen oder Fahrradfahren bereits aus.

Bei der Ernährung ist einer der größten Sündenfälle, dass man gesüßte Getränke gegen den Durst trinkt. Das sind zu viel Kalorien.
Dazu gibt es verschiedene Ernährungsvorschläge: Die einen sagen kohlenhydratarm, die anderen sagen fettarm ernähren. Das entscheide ist: Jede Diät, die es schafft, das Gewicht unten zu halten, die ist auch präventiv gegen Diabetes. Es ist eine individuelle Entscheidung, welche Diät ich auch dauerhaft akzeptieren und durchhalten kann. Erreichen lässt sich eine Gewichtsreduktion jedenfalls mit sehr unterschiedlichen Diätvorschriften – da gibt es gute Studien zu.

Können Sie sich in ein paar Jahrzehnten eine Welt komplett ohne Diabetes vorstellen?

Ein Ende des kompletten Themas Diabetes kann ich auf absehbare Zeit nicht sehen. Wir können aber sehr zufrieden sein mit der Diabetesforschung, die wir derzeit beobachten. Momentan haben wir eine Situation, in der sich die Ereignisse überschlagen. Es gibt jetzt gerade ein neues Diabetes Medikament, was bei knapp der Hälfte der Patienten einen total normalen Blutzuckerwert herstellt, inklusive einer Gewichtsabnahme von im Schnitt 10–12 Kilo. Das ist ein großer Fortschritt – für die Hälfte der Patienten. Für die andere Hälfte müssen wir noch hart arbeiten. Es ist zu erwarten, dass es in den nächsten Jahren noch wirkungsvollere Therapien geben wird.

Zur Person

Prof. Dr. med. Michael Nauck ist Leiter der klinischen Forschungsgruppe Diabetes im St. Josef-Hospital (Bochum) und langjähriges Mitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG).

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