People Pleaser: Der Drang, immer Ja zu sagen

Menschen, die ständig „Ja“ sagen, unter keinen Umständen negativ auffallen möchten und die Bedürfnisse anderer über die eigenen stellen, werden People Pleaser genannt. Wer verlernt hat, auf sich selbst zu hören, riskiert seine mentale Gesundheit. Doch „Nein-Sagen“ kann gelernt werden.

Qualitätssicherung: Philipp Grätzel von Grätz, Arzt und Medizinjournalist

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„Der beste Weg, sich selbst eine Freude zu machen, ist zu versuchen, einem andren eine Freude zu bereiten.“ Diesem Zitat von Mark Twain stimmen wahrscheinlich die meisten Menschen erst einmal zu. Denn: Anderen eine Freude zu bereiten, fühlt sich gut an!

Doch der Anspruch, es immer allen recht zu machen, kann schnell zum Kraftakt werden. Wenn aus dem Harmoniebedürfnis ein Zwang wird und Betroffene gegen ihren eigenen Willen handeln, nur um den Erwartungen und Wünschen der anderen zu entsprechen, spricht man vom People Pleasing.

Was ist ein People Pleaser?

Der Begriff „People Pleasing“ stammt aus dem anglo-amerikanischen Raum und bedeutet „dem Menschen gefallen“. Ein People Pleaser ist also ein Mensch, der es anderen immer recht machen will, die eigenen Bedürfnisse hintenanstellt und Konflikte scheut.

People Pleasing erstreckt sich auf fast alle Situationen im alltäglichen Leben. Selbst ein normaler Restaurantbesuch kann für Betroffene zur Herausforderung werden. Die Gruppe bestellt zum Aperitif einen Prosecco, der People Pleaser hätte aber gerne etwas ohne Alkohol gewählt. Doch dazu kommt es nicht. Nach dem gemeinsamen Essen ordern alle Tischnachbarn ein Dessert. Auch der People Pleaser wird einen Nachtisch bestellen – auch wenn er oder sie gar kein Verlangen danach hat. Es kommt zu einer Diskussion über Politik. Auch hier hält sich der People Pleaser mit der eigenen Meinung zurück und stimmt stattdessen den anderen zu. Nach dem Dinner zahlt der People Pleaser die Rechnung für alle. Einer aus der Gruppe wird vergessen, seinen Anteil zu überweisen. Doch der People Pleaser wird sich scheuen, seinen Freund daran zu erinnern.

Was sind die Ursachen von People Pleasing?

Oft liegen die Ursachen für People Pleasing in der Kindheit. „Wächst ein Kind beispielsweise mit einem cholerischen Elternteil auf, ist es sinnvoll – ja vielleicht sogar lebensnotwendig – bereits in jungen Jahren „sensible Fühler“ für sein Umfeld zu entwickeln und das Verhalten dementsprechend anzupassen“, erklärt Michael  Wiens,  M.Sc. Psychologe und Gründer von „Emotionswelten“.  Aber auch Kinder, die bereits sehr früh Verantwortung für Geschwister übernehmen mussten, könnten dazu neigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu zurückzustellen. Jene „alten Strategien“, die sich im Kindesalter bewährt haben, sind auch Jahre später noch fest im Gedächtnis verankert. Das spiegelt sich im Verhalten wider: „Oftmals verwechselt die Seele auch noch als erwachsene Person die heutigen Situationen mit früheren Erfahrungen – obwohl das alte, früher sinnvolle Verhalten heute gar nicht mehr notwendig ist“, erklärt Wiens.

People Pleasing ist keine psychische Störung

Oft leiden Betroffene unter ihrer Harmoniesucht. Der Anspruch, allen gerecht zu werden, ist kaum zu bewältigen und zehrt an den Kräften. „Der zentrale Aspekt ist der Leidensdruck, der aus dem eigenen Verhalten resultiert,“ weiß der Experte. Doch daran lässt sich arbeiten: People Pleasing ist für sich genommen keine psychische Störung, sondern es handelt sich um ein antrainiertes Verhaltensmuster, das Betroffene mit Geduld ablegen können. Allerdings kann das Phänomen manchmal im Rahmen bestimmter psychischer Störungen auftreten, zum Beispiel bei einer abhängigen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.7). „Wenn es Betroffenen damit gut geht, sehe ich wenig Grund, therapeutisch Hilfe zu suchen“, sagt der Psychologe. Gleichzeitig gebe es aber auch Betroffene, die Angststörungen und Depressionen entwickeln, wenn sie ihre eigenen Grenzen immer wieder überschreiten. In diesem Fall kann es notwendig sein, sich externe Unterstützung zu holen.

Welche Folgen kann People Pleasing im Alltag haben?

Wer nie negativ aneckt und jede Aufgabe ohne zu klagen übernimmt, gibt vieles auf. Nicht selten stoßen Betroffene an ihre Belastungsgrenze: „Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass man sich die nicht stattgefundene Abgrenzung auch Einiges kosten lässt. Wenn ich meine eigenen Grenzen immer wieder überschreite, schütze ich mich und das, was ich für ein gutes Leben brauche, möglicherweise nicht im für mich nötigen Ausmaß“, erklärt Michael Wiens.

So finde ich heraus, ob ich ein People Pleaser bin

Wer herausfinden möchte, ob er oder sie ein People Pleaser ist, sollte das eigene Handeln reflektieren.  

Dazu können Fragen wie diese helfen:  

  • Kann ich meine Bedürfnisse offen kommunizieren?  
  • Wann habe ich mich zuletzt für etwas entschuldigt, obwohl es keinen Anlass dazu gab?  
  • Wie oft habe ich Schuldgefühle, wenn ich eine Entscheidung treffe?  

Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass diese Fragen nicht mehr als ein grober Anhaltspunkt sein können und nicht als Diagnose dienen. Denn: „Einen Fragebogen, der den wissenschaftlichen Gütekriterien entspricht, um People Pleasing-Verhalten zu erfassen, gibt es aktuell nicht“, erklärt der Experte.  

Warum People Pleasing nicht per se schlecht ist

Grundsätzlich ist es auch erst einmal nicht verwerflich, die Bedürfnisse anderer zu priorisieren. „Es ist kein illegales Verhalten, es dem eigenen Umfeld recht zu machen“, betont Wiens. Allerdings ist der Begriff des People Pleaser in der breiten Wahrnehmung negativ konnotiert. Diese Abwertung hält Wiens jedoch für nicht hilfreich. Vielmehr führt er die Kritik auch auf die hierzulande vorherrschende individualistische Kultur zurück. In anderen Kulturkreisen, etwa kollektivistisch geprägten, könne die Bewertung ganz anders aussehen. Denn hilfsbereit, harmoniebedürftig und defensiv sind keine schlechten Charaktereigenschaften. „In ihnen steckt ein für unsere soziale Interaktion hochgradig sinnhaftes Verhalten und sie schaffen eine freundliche Atmosphäre“, erklärt er.

Tipps für People Pleaser

Wer jedoch merkt, dass er oder sie sprichwörtlich zu viel des Guten leistet, kann lernen, charmant „Nein“ zu sagen. Michael Wiens empfiehlt, „immer wieder in kleinen Schritten etwas „Neues“ auszuprobieren und sich in verschiedenen Kontexten abzugrenzen.“ Es kann in einem ersten Schritt sinnvoll sein, für sich herauszufinden, in welchem Umfeld – etwa bei der Arbeit, oder aber bei Freunden – es leichter fällt, „Nein“ zu sagen und sich so langsam auszuprobieren. „Die Herausforderung liegt sicherlich darin, dass ich solche Verhaltensmuster nicht so einfach „aus dem Stand“ heraus verändere“, sagt Wiens. Daher rät er, sich in der jeweiligen Situation zu erlauben, die Entscheidung zu vertagen. Dafür können sich Betroffene vorher Sätze zurechtlegen, wie zum Beispiel: „Darüber muss ich erst einmal kurz nachdenken, ich melde mich in 30 Minuten“!

So stärken People Pleaser ihr Selbstvertrauen

1

Die eigenen Bedürfnisse akzeptieren

Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sie ebenso ernst zu nehmen, wie die Bedürfnisse der anderen.

2

Wünsche klar kommunizieren

Ich-Botschaften, die mit einer konkreten Äußerung der eigenen Wünsche verknüpft sind, helfen bei einer klaren und wertschätzenden Kommunikation.

3

Sich selbst wertschätzen

Niemand ist perfekt! Kleine Erfolge zu feiern ist wichtig, um das Selbstbewusstsein zu stärken und eigene Zweifel zu bekämpfen.

4

Geduldig sein

Verhaltensmuster, die bereits seit der Kindheit existieren, verschwinden nicht von einem Tag auf den anderen. Es braucht Zeit, um die alten Muster zu überwinden.

Was hilft bei Schuldgefühlen?

„Nein“ zu sagen, kostet Überwindung und ist insbesondere für People Pleaser oft mit Schuldgefühlen verbunden. Um diese abzulegen, ist es wichtig, zu verstehen, dass „alte Verhaltensmuster auf alten Gefühlen beruhen.“, erklärt Wiens und ergänzt: „Wenn ich verstehe, aus welchen früheren Situationen mein heutiges Verhaltensmuster entspringt und dass die heutigen Umstände anders aussehen, ist der erste Schritt getan.“

Im nächsten Schritt könnte es dann darum gehen, die frühere Verunsicherung anzuerkennen und einen weichen, nachsichtigen Umgang mit diesen Gefühlen zu erlernen, um nach und nach (Selbst-)Sicherheit im Hier und Jetzt aufzubauen.

Wie können Kollegen und/ oder die Familie People Pleaser unterstützen?

Die meisten Menschen merken schnell, wenn der Partner oder Kollege zu Overthinking neigt und die Gedanken nur um das Wohl der anderen kreisen. Michael Wiens empfiehlt, Kontexte zu schaffen, in denen es möglich ist, über das eigene Verhalten und deren Hintergründe offen zu sprechen. Auf diese Weise bekomme das Umfeld ein Verständnis dafür, aus welchen Gründen man sich auf bestimmte Art und Weise verhält. Dann sei es auch möglich, bedürfnisorientiert Wünsche auszudrücken.

„Der Aufbau psychologischer Sicherheit ist ein wichtiger Baustein für die Möglichkeit der Verhaltensänderung.“

An diese Stellen können sich Betroffene wenden

People Pleasing ist keine behandlungsbedürftige Krankheit. Viele Betroffene können ihren Alltag trotz gelegentlicher Schwierigkeiten gut meistern. Wer unter seiner Harmoniesucht jedoch massiv leidet, kann einen Psychotherapeuten aufsuchen. Die Krankenkasse oder die Kassenärztliche Vereinigung vermittelt Adresslisten der Vertragspartner. Das sind Psychologische Psychotherapeuten und Ärzte, die von den Krankenkassen anerkannt sind. Außerdem gibt es unterschiedliche Internetseiten, wie etwa die der Kassenärztlichen Vereinigung, mit Online-Suchfunktionen, die Psychotherapeuten in der Nähe anzeigen. Michael Wiens empfiehlt darüber hinaus die Broschüre „Wege zur Psychotherapie“ der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

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