Nahrung als Gegner – Leben mit einer Essstörung

Dieser unwiderstehliche Duft, der aus der Küche strömt, der Anblick liebevoll zubereiteter Leckereien: Essen ist ein Genuss für alle Sinne und eine schöne Art, mit Freunden und Familie zusammenzukommen.

Qualitätssicherung: Philipp Grätzel von Grätz, Arzt und Medizinjournalist

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Menschen, die unter einer Essstörung leiden, können solche Momente allerdings nicht genießen. Das Verlangen zu essen und der ständige Drang, diesen Impuls zu kontrollieren, bestimmen ihren Alltag. Darunter leidet nicht nur die Lebensqualität massiv. Essstörungen können auch die Gesundheit gefährden. Es gibt mehrere Formen. Für eine erfolgreiche Therapie ist es wichtig, die Gründe für die Erkrankung zu finden. Menschen, die unter einer Essstörung leiden, können solche Momente allerdings nicht genießen. Das Verlangen zu essen und der ständige Drang, diesen Impuls zu kontrollieren, bestimmen ihren Alltag. Darunter leidet nicht nur die Lebensqualität massiv. Essstörungen können auch die Gesundheit gefährden. Es gibt mehrere Formen. Für eine erfolgreiche Therapie ist es wichtig, die Gründe für die Erkrankung zu finden.

Was sind Essstörungen?

Die Essstörungen (ICD-10-GM F50.-) sind psychosomatische Erkrankungen, die das Essverhalten und die Wahrnehmung des eigenen Körpers beeinflussen. Sie gehören zu den häufigsten chronischen psychischen Störungen. Meist beginnen sie bereits im Jugendalter oder im jungen Erwachsenenalter. Mediziner unterscheiden drei Hauptformen, häufig treten aber auch Mischformen auf.

Arten von Essstörungen:

1.

Anorexie

Die Anorexie wird auch Magersucht genannt (Anorexia nervosa, ICD-10: F50.0 und F50.1), besonders häufig kommt sie bei heranwachsenden Mädchen vor. Der Wunsch, Gewicht zu verlieren, trifft hierbei auf eine verzerrte Körperwahrnehmung. Selbst wenn sie bereits untergewichtig sind, empfinden sich Personen mit Anorexie als zu dick. Sie versuchen daher, möglichst wenig zu essen. Anorexie tritt besonders häufig in der Pubertät auf.

2.

Bulimie

Wer Bulimie hat (Bulimia nervosa, auch Ess-Brech-Sucht, ICD-10: F50.2 und F50.3), hält sich bei der Nahrungsaufnahme nicht immer zurück, typisch für die Erkrankung sind vielmehr Essattacken, bei denen die Betroffenen in kurzer Zeit sehr viel zu sich nehmen. Hierauf folgen in der Regel Schuldgefühle. Bulimiker versuchen dann meist, die hohe Kalorienzufuhr durch unterschiedliche Verhaltensweisen zu kompensieren. Um nicht zuzunehmen, führen sie bei sich selbst Erbrechen herbei, nutzen Abführmittel oder machen sehr viel Sport. Bulimie tritt meist im späteren Jugendalter oder im jungen Erwachsenenalter auf.

3.

Binge-Eating-Störung

Weniger bekannt ist die Binge-Eating-Störung (BED, ICD-10: F50.4 oder F50.9). Auch hier erleben Betroffene Essanfälle, allerdings folgt darauf kein kompensierendes Verhalten wie bei der Bulimie. Der Kontrollverlust der Essanfälle sorgt für ein tiefes Schamgefühl. Die Betroffenen nehmen immer weiter zu.

Wer ist von Essstörungen betroffen?

Essstörungen sind überwiegend weiblich: Von 1.000 Mädchen und Frauen erkranken nach Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Laufe des Lebens 28 an einer Binge-Eating-Störung, 19 an Bulimie und 14 an Magersucht. Bei Jungen und Männern sind es deutlich weniger. Je 1.000 männliche Personen entwickeln 10 eine Binge-Eating-Störung, 6 eine Bulimie und 2 eine Magersucht. 

Aber auch ältere Menschen können Essstörungen entwickeln. „Immer wenn wir in eine Überforderungssituation kommen, oder wenn sich der Körper verändert, zum Beispiel in der Schwangerschaft oder den Wechseljahren, können sich psychische Erkrankungen entwickeln. Das gilt auch für Essstörungen. Die gibt es selbst im Altersheim“, sagt Liane Hammer, Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendtherapeutin, die sich vor mehr als zehn Jahren auf das Thema spezialisiert hat. Im Wohngruppenprojekt ANAD in München und auch ambulant behandelt sie Kinder und Jugendliche mit Essstörungen.

Ursachen: Wie entstehen Essstörungen?

Für die jungen Patientinnen und Patienten von Liane Hammer ist das eigene Körpergewicht ein ständiger Gegner und Essen das alles bestimmende Thema. Aber wieso entwickelt sich bei manchen Menschen eine Essstörung, bei anderen nicht? 

„In den wenigsten Fällen rutscht jemand in eine Essstörung, bloß weil er dünn sein will,“ sagt Hammer. „Damit eine Essstörung auftritt, muss einiges zusammenkommen. Wenn ich nur das Gewicht behandle, dann werde ich den Patienten nicht gerecht, weil sie psychisch sehr leiden. Dann ist der Rückfall schon vorprogrammiert.“ Denn die Gründe, so berichtet die Therapeutin, reichen von individuellen über biologische bis hin zu soziokulturellen Faktoren.

Faktoren, die Essstörungen begünstigen

Biologische Risikofaktoren Sozio-kulturelle Risikofaktoren Individuelle Risikofaktoren
Genetische Veranlagung Schönheitsideale Persönlichkeitsmerkmale, z.B. Selbstwert
Hormone und Nervenbotenstoffe Soziale Medien Traumatische Erfahrungen

Körperliche Faktoren, wie z.B.

jüngeres Alter und weibliches Geschlecht

Clique und Freundeskreis  

Biologische Faktoren

Manche Menschen bekommen schlechte Laune, wenn sie nicht pünktlich etwas zu essen bekommen. Andere vergessen mal das Frühstück und vielleicht sogar noch das Mittagessen, weil sie einfach zu beschäftigt sind mit anderen Dingen. Die Wahrnehmung von Hunger ist also sehr unterschiedlich. Botenstoffe im Gehirn steuern unsere Innenwahrnehmung. Interozeption nennt sich dieser Prozess. Ein Gefühl von Hunger kommt normalerweise rechtzeitig auf, um uns mitzuteilen: Jetzt ist es Zeit für eine neue Portion Energie. Wenn die Interozeption gestört ist, begünstigt das Essstörungen. Veränderungen der Hormone Ghrelin, das Hunger signalisiert, und Leptin, das für ein Sättigungsgefühl sorgt, könnten dahinterstecken.  

Es gibt weitere Hormone, die möglicherweise bei Essstörungen eine Rolle spielen, das Glückshormon Serotonin zum Beispiel. Der Neurotransmitter ist an der Regulierung von Emotionen und Appetit beteiligt. Auch ein erhöhter Spiegel des Stresshormons Cortisol kann sich auf das Essverhalten auswirken, ebenso wie Schwankungen der Sexualhormone Östrogen und Testosteron.

Individuelle Risikofaktoren

Doch nur aufgrund hormoneller Faktoren entsteht eine Essstörung meist nicht. Weiteren wichtigen Einfluss haben individuelle psychosoziale Risikofaktoren, zu denen unter anderem Persönlichkeitsmerkmale gehören. Eine zentrale Rolle spielt das Selbstwertgefühl. Ist es nicht stabil, sind Personen besonders gefährdet. Perfektionismus und die Angst davor, Fehler zu machen, können ebenfalls negative Auswirkungen haben. Denn wer immer alles richtig machen will, steht permanent unter einem hohen Druck, der Überforderung und Selbstzweifel auslösen kann. Auch soziale Phobien oder eine Depression können Essstörungen begünstigen. 

Traumata wie die Covid-Pandemie

Oftmals gibt es aber auch ein traumatisches Ereignis, an das sich Betroffene erinnern und mit dem die Essstörung beginnt, berichtet Liane Hammer. Das kann zum Beispiel ein Verlusterlebnis sein, wie die Trennung der Eltern, oder auch „nur“ der Tod des Hamsters. 

Die Covid-19-Pandemie war ein solches traumatisches Ereignis. Einer Studie zufolge stieg das Vorkommen von Essstörungen bei Mädchen und jungen Frauen im Alter zwischen 15-20 Jahren stark an. Während 2020 laut Zahlen der hkk knapp drei Prozent betroffen waren, lag der Anteil 2022 bei 4,5 Prozent. Das ist ein Zuwachs um 50 Prozent. Während Social Distancing und Ausgangsbeschränkungen das Leben vieler Menschen auf den Kopf stellten, wirkte sich der Verlust sozialer Strukturen auf Kinder und Jugendliche, die mitten in der Entwicklung steckten, besonders belastend aus. Stabilität und Sicherheit sind dadurch zeitweise verloren gegangen, sagt Liane Hammer. 

Soziokulturelle Faktoren

In der Pubertät verändert sich der Körper. Jungen schießen eher in die Höhe, viele von ihnen sind zunächst schlaksig. Bei Mädchen bilden sich dagegen Brüste aus, der Körper lagert an neuen Stellen Fettpolster an. Diese Veränderung geht mit einer ganz neuen Körperwahrnehmung einher, mit der die Jugendlichen erst einmal umgehen lernen müssen, beschreibt Liane Hammer. „Das muss ich ein Stück weit aushalten lernen und das eigene Äußere anders betrachten: Dass der Körper nicht nur entweder gut oder schlecht aussieht, sondern eben auch eine Funktion hat, die für mich wichtig ist.“ 

Allerdings ist das schwierig, wenn von allen Seiten vermeintliche Schönheitsideale auf junge Menschen einprasseln. Diese sorgen bei Jugendlichen mitunter dafür, dass sie sich als zu dick empfinden. Denn auf Plakaten, in der Werbung, im Fernsehen oder auf Social Media bedeutet schön vor allem dünn. Welchen Einfluss Fernsehsendungen wie zum Beispiel „Germany’s Next Topmodel“ auf die Eigenwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen haben, hat eine Studie des Internationales Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen untersucht, das dem Bayerischen Rundfunk untersteht. Dabei kam heraus, dass der Gedanke, zu dick zu sein, unter den Mädchen, die Germany’s Next Topmodel sehen, signifikant häufiger war.  

Ähnliche Auswirkungen besitzen Soziale Medien, auf denen Themen wie Fitness, Schönheit und Körpergewicht ständig präsent sind. Junge Menschen, die Influencerinnen und Influencern folgen, sehen diese oft als Vorbild an. Der Wunsch, ebenfalls einen perfekten Körper zu besitzen, führt zwar nicht direkt zu einer Essstörung, aber kann sich auf Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl gefährdend auswirken. Und auch der Freundeskreis oder die Clique besitzen einen wichtigen Einfluss. Denn die eigene Peer Group bietet einen Orientierungsrahmen. In diesem vergleichen sich Jugendliche und sind zum Teil mit negativen Kommentaren zu ihrer Figur oder mit Mobbing konfrontiert. 

Ab wann spricht man von einer Essstörung?

Das Frühstück auslassen, abends nichts mehr essen, Intervallfasten – das machen viele, die auf ihre Figur achten. Doch ab wann wird aus bewusstem Essen ein gestörtes Essverhalten? Und wo beginnt die Essstörung? 

Eine Essstörung ist eine diagnostizierbare psychische Störung, die durch tiefgreifende Probleme im Zusammenhang mit dem Essverhalten und der Körperwahrnehmung gekennzeichnet ist. Von gestörtem Essverhalten spricht man dagegen, wenn Verhaltensweisen vorliegen, die von den typischen Essgewohnheiten abweichen. Dazu gehören beispielsweise Diäten mit stark eingeschränkter Kalorienzufuhr oder wiederholte Episoden von übermäßigem Essen ohne anschließende Kompensationsmaßnahmen, wie Erbrechen oder exzessives Training. Ein gestörtes Essverhalten muss nicht zwangsläufig zu einer diagnostizierbaren Essstörung führen.

Essstörungen früh erkennen

Eine Essstörung entsteht oft schleichend, ein erster Hinweis können Verbote sein. Betroffene möchten sich oftmals gesund ernähren, entwickeln dabei aber eine regelrechte Angst vor bestimmten Lebensmitteln und möchten diese unbedingt vermeiden. Liane Hammer nennt hierfür ein Beispiel. „Wenn ich keinen Zucker essen möchte und zu einem Geburtstag eingeladen bin, bei dem es Kuchen gibt – gehe ich dann trotzdem hin oder bleibe ich deswegen zuhause? Wenn Letzteres der Fall ist, ist das einschränkend und auch ein Schritt zum sozialen Rückzug.“ Und das kann ein Anzeichen für eine Essstörung sein. 

Manche wälzen Kochbücher oder sehen sich Kochsendungen an, um ihre ständigen Gedanken an Essen zu bedienen – ohne etwas essen zu müssen. Sie kochen auch gerne für Freunde, essen dann aber kaum etwas mit. Auch das kann ein erstes Anzeichen sein. 

Liane Hammer bittet ihre Patientinnen und Patienten im Rahmen der Therapie, sich ein Tortendiagramm vorzustellen und zu sagen, welcher Bereich in ihrem Leben wie viel Raum einnimmt. „Meistens sind drei Viertel dieses Raums Essen, Figur und Gewicht. Da bleibt nichts für Familie, für Freunde, für eine Partnerschaft, für Hobbys, für den Beruf.“ 

Wer unsicher ist, findet in Beratungsstellen einen guten Anlaufpunkt, um das eigene Essverhalten unter die Lupe zu nehmen – auch ohne, dass eine Erkrankung vorliegt. Gemeinsam mit einem Ernährungsberater kann man sich anschauen, was genau man wann zu sich nimmt und auswerten lassen, welche Makro- und Mikronährstoffe die Nahrung enthält.  

Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat eine Essstörung?

Besonders bei Eltern sind die Sorgen groß, wenn sie eine Essstörung bei ihren Kindern bemerken. Denn Essstörungen können gefährlich werden. Vor allem dann, wenn der Body-Mass-Index (BMI) unter 15 rutscht. Dann muss die oder der Betroffene stationär behandelt werden. Wer mit einer Essstörung ins Krankenhaus kommt, liegt häufig unter der kritischen Gewichtsgrenze Ein BMI von 15 entspricht bei einer Körpergröße von 1,70 m etwa einem Gewicht von 43 Kilogramm.  

Die gesundheitlichen Auswirkungen sind vielfältig. Untergewicht kann zu Unterernährung und einem Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen führen. Wenn Betroffene erbrechen oder Abführmittel nutzen, kommt es oft zu Dehydratation und einem Ungleichgewicht der Elektrolyte im Körper, was wiederum Herzrhythmusstörungen und Nierenprobleme zur Folge haben kann. Essstörungen belasten oft auch das Herz-Kreislauf-System stark. Herzrhythmusstörungen, niedriger Blutdruck oder ein unregelmäßiger Herzschlag sind mögliche Folgen. Magen-Darm-Probleme können auftreten, ebenso psychische Probleme wie Depressionen, Angstzustände, Zwangsstörungen und selbstverletzendes Verhalten. Essstörungen führen in vielen Fällen außerdem zu einem Ungleichgewicht der Hormone, was Menstruationsstörungen, Unfruchtbarkeit, sexuellen Dysfunktionen und anderen Probleme nach sich ziehen kann. 

Wie sollten sich Angehörige von Menschen mit Essstörung verhalten?

Meist bemerkt das Umfeld eine Essstörung zunächst nicht. Besonders bei jungen Mädchen gilt es als normal, wenn sie auf ihre Figur achten oder Diäten ausprobieren. Wichtig ist, dass Eltern im Blick haben, dass das Gewichtsbewusstsein ihrer Kinder leicht außer Kontrolle geraten kann. 

Doch was ist zu tun, wenn Familie oder Freunde ein gestörtes Essverhalten bemerken und die Tochter oder beste Freundin immer dünner wird? Auch hier helfen Beratungsstellen. „Das Thema einfach unvermittelt anzusprechen ist schwierig, insbesondere, wenn keine Einsicht für ein Problem vorhanden ist”, sagt Liane Hammer, „denn das kann zu einer Abwehrhaltung führen.” 

Ein guter Weg ist es zunächst, den eigenen Eindruck zu schildern. „Man kann zum Beispiel sagen, dass man den Betreffenden als weniger fröhlich erlebt als sonst und sich fragt, ob alles in Ordnung ist. Man sollte außerdem das Angebot machen, für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen.“ Von ihren Patientinnen und Patienten hört Liane Hammer immer wieder, dass sie zwar abwehrend reagieren, es aber wichtig finden, von jemandem gesehen zu werden. 

Behandlungsmöglichkeiten bei Essstörungen

Die gute Nachricht: 50 Prozent der Essstörungen heilen vollständig aus. Bei anderen kommt es häufig zu Rückfällen, und ein Teil der Betroffenen kämpft dauerhaft mit seinem Essverhalten. Bei der Therapie gilt es, die körperliche Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Dies erfolgt über die kontinuierliche Betreuung durch einen Arzt. Eine Ernährungsberatung ist ebenso wichtig. Betroffene müssen lernen, gesunde Essgewohnheiten in ihren Alltag zu integrieren, eventuell bestehende Nahrungsmittelängste zu überwinden und dadurch ein angemessenes Körpergewicht zu erreichen.

Wer aus einer Essstörung hinaus will, muss aber vor allem eins tun: Sich weniger mit Essen beschäftigen. Die Gedanken ans Essen und das eigene Körpergewicht müssen aus dem Kopf heraus – doch wie soll das gehen? Diese schwierige Aufgabe gelingt nur mit einer Psychotherapie. Ziel ist es, dass Betroffene wieder eine gesunde Beziehung zum Essen herstellen und ein besseres Körperbild erlangen. Zudem werden zugrunde liegende psychischen Probleme identifiziert, die zur Essstörung beitragen. Die Psychotherapie kann helfen, dysfunktionale Denkmuster zu identifizieren und zu verändern, Coping-Strategien zu entwickeln und den Umgang mit Emotionen zu verbessern.

Wenn die Erkrankten erkennen, dass sie ein Problem haben und auch bereit sind, daran zu arbeiten, kann die Therapie ambulant stattfinden. In manchen Fällen ist es aber auch erforderlich, stationär zu behandeln.

Eine weitere Option, durch die es möglich bleibt, im Alltag integriert zu sein, ist der Aufenthalt in einer Wohngruppe. Liane Hammer betreut Patientinnen oder Patienten in solchen Wohngruppen in München. Hier greifen eine intensive psychotherapeutische, ernährungstherapeutische und sozialpädagogische Betreuung ineinander. Der Vorteil dieser Behandlungsform: Die Gefahr eines Rückfalls nach der Therapie ist deutlich geringer, wenn Betroffene gelernt haben, im Alltag mit Ihren Problemen umzugehen. 

Essstörungen sind häufig identitätsstiftend

Insbesondere, wenn Essstörungen im Teenageralter auftreten, können sie identitätsstiftend wirken. Denn in dieser Phase bilden jungen Menschen ihre Persönlichkeit gerade erst aus und entdecken, wer sie sind und sein wollen. Der eigene Körper und die Ernährung lassen sich verhältnismäßig leicht kontrollieren, während vieles andere in der Pubertät im Umbruch ist. Die Bewunderung anderer für das Aussehen sowie die Disziplin bei Diät und Sport steigern den Selbstwert. Die Kontrolle des eigenen Gewichts und das erfolgreiche Formen des Körpers sorgen damit für ein Gefühl von Autonomie und Selbstbehauptung.  

Um sich von der Essstörung zu lösen, ist es daher wichtig, es als Stärke zu sehen, die eigenen leiblichen Bedürfnisse zu erkennen und ihnen nachzugehen, sagen Psychologen. Wichtig ist auch, sich der Frage nach dem eigenen Selbst zu stellen. „Obwohl kaum ein Mensch mit 15 weiß, wer er ist, haben Jugendliche mit Essstörung häufig eine regelrechte Panik vor dieser Frage”, berichtet Liane Hammer. Einen Grund dafür sieht sie in der Dauerbelastung, unter anderem durch die Schule. Dadurch herrscht oft viel Druck. Es bleibt wenig Zeit, sich selbst zu entdecken.  

Für Liane Hammer ist Identitätsarbeit bei jungen Menschen mit Essstörung daher ein großer Teil der Therapie. Es geht darum, persönliche Ressourcen zu stärken und Interessen herauszuarbeiten. „Darin liegt die Chance, herauszufinden, wer ich bin, wer ich ohne die Essstörung sein kann oder will und was in mir steckt“. Und dadurch eine stabile Persönlichkeit ohne Essstörung auszubilden. 

Unsere Expertin

Liane Hammer ist Diplom-Pädagogin sowie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Sie ist Leitung bei TheraTeam, dem Kooperationspartner des ANAD Versorgungszentrums Essstörungen. Zudem ist sie als Dozentin an verschiedenen Ausbildungsinstituten tätig. 

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