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Ausmisten: Ordnung ist subjektiv

Ein ordentliches Haus sorgt für einen freien Kopf und frische Energie. Doch gibt es die eine „richtige“ Methode fürs Ausmisten, eine „richtige“ Ordnung?

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Seit Jahren schon geistert der Trend durch Internet und Fernsehen: Ordnung mit System in den eigenen vier Wänden. Fast jeder hat schon einmal von Marie Kondō gehört. Die japanische Bestseller-Autorin begeisterte mit ihren Büchern und Serien ein Millionenpublikum und animierte es, zuhause ordentlich aufzuräumen und auszumisten.

Seit Jahrzehnten werden immer wieder diverse Studien ins Treffen geführt, um die positiven Effekte einer ordentlichen Wohnung auf die Gesundheit zu unterstreichen: Während Unordnung zu Stress und Unausgeglichenheit führt, fördert ein ausgemistetes Zuhause das psychische Wohlbefinden. Das ge- und bereinigte Haus erzeugt ein Gefühl von Energie, aber auch von Sicherheit und Kontrolle. Die saubere Wohnung lässt in uns ein Erfolgsgefühl entstehen, das sich im Ausschütten des „Glückshormons“ Dopamin bestätigt.

Besonders die Forschung der amerikanischen Wissenschaftlerin NiCole Keith wird immer wieder zitiert, um den Zusammenhang zwischen sauberem Haus und Gesundheit aufzuzeigen. Laut dieser bedeuten Ordnung halten und regelmäßiges Ausmisten auch regelmäßige körperliche Betätigung. Menschen, die sich nicht dem Prokrastinieren hingeben, sind auch im Haushalt aktiv. Sie bewegen sich mehr, sind dadurch gesünder und haben mehr Energie.

Ordnung ist nicht gleich Ordnung

Heißt das nun, dass Menschen in einer unordentlich oder mit Gegenständen überladen wirkenden Wohnung im Leben chaotisch und psychisch unausgeglichen sind? Die Psychologin Nathalie Krahé warnt hier vor zu schnellen Schlüssen: „Wir sollten vorsichtig sein, wenn wir Menschen und ihren Ordnungssinn vergleichen. Ja, eine äußerst unordentliche Wohnung kann Ausdruck dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Und manche brauchen zuhause eine feste Grundordnung, um sich wohlzufühlen. Es gibt aber verschiedene Persönlichkeiten, und das bedeutet auch: Ordnung heißt für jeden etwas anderes.“

Wenn wir uns also ans Ausmisten machen und überlegen, wie wir daheim Ordnung halten wollen, ist eines ganz wichtig: Wir sollten uns nicht die Vorstellungen anderer überstülpen lassen. Dass jeder ganz eigene Bedürfnisse hat, sieht man oft in Paarbeziehungen besonders gut: Was für den einen ein gemütliches Zimmer mit vielen persönlichen Gegenständen und Souvenirs ist, kann für die andere eine furchtbar überladene Rumpelkammer sein, die dringend ausgemistet werden muss. Solange man sich selbst zuhause wohlfühlt, wenn an manchen Dingen wichtige Erinnerungen hängen, die das eigene Leben beschreiben, muss man diese auch nicht um jeden Preis loswerden.

Innere Leere lässt sich nicht mit Objekten füllen

Die Expertin Krahé gibt zu bedenken, dass übermäßiges Horten und das Verweigern von Ausmisten – wenn gewiss nicht in allen Fällen – durchaus auch mit einem Gefühl der inneren Leere zu tun haben kann: „Ein Problem wird es, wenn ich mein Zuhause mit sinnlosen Gegenständen überfülle, nur um von Problemen wie einer persönlichen Sinnkrise oder Minderwertigkeitsgefühlen abzulenken.“

Wenn wir also selbst merken, dass viel zu viele Dinge im Haus sind, dann ist es an der Zeit, etwas zu ändern. Wenn wir uns schwertun, den ersten Schritt oder ein System zu überlegen, können Ratgeberbücher oder auf Ordnung und Entrümpelung spezialisierte Coaches durchaus sinnvoll sein.

Tipps fürs Entrümpeln

Nathalie Krahé unterstreicht, dass nicht jeder ein striktes System und klare Vorstellungen fürs Ausmisten hat. Manchen fällt der Prozess schwer: „Wenn Sie es nicht übers Herz bringen, sich von Gegenständen zu trennen, bitten Sie zum Beispiel einen Freund oder eine Freundin um Hilfe. Eine externe Person geht ohne Emotionen an die Sache heran, und dadurch kann sie beim Entrümpeln vernünftige Ratschläge geben.“

Auch eine Deadline kann helfen: „Setzen Sie sich eine klare Frist, innerhalb derer Sie überlegen, was gehen kann und was bleibt. Danach treffen Sie eine klare Entscheidung und halten sich daran. So können etwa gebuchte Termine für eine Sperrmüllabfuhr sehr hilfreich sein.“

Es gibt kein „richtiges“ oder „falsches“ Ausmisten

Wie wir ans Ausmisten herangehen, ist eine Typfrage. Hier sollten wir auch auf eigene Bedürfnisse und nicht gesellschaftliche Vorgaben hören. Manche finden es besser, über einen längeren Zeitraum hier und da ein einzelnes Stück zu betrachten und zu entfernen. Das passt gut für Menschen, die es grundsätzlich sehr sauber mögen und nebenbei konstant ausmisten wollen. Andere sind eher der „Aktionstyp“. Sie sagen etwa „In drei Wochen kommen die Eltern zu Besuch, also muss ich am Sonntag in zwei Wochen den ganzen Tag rigoros ausmisten.“ Der Druck hilft solchen Menschen dabei, konsequent Ordnung zu schaffen.

Psychologin Krahé kennt einen weiteren Tipp: „Vielen kann es auch eine Hilfe sein, ein Ziel, einen Idealzustand zu visualisieren. Wir können uns fragen: Was wird schöner, besser, und einfacher, wenn ich richtig ausmiste? Wofür habe ich dann etwa mehr Licht, Luft und Raum? Wie werde ich mich wohler fühlen? Wenn wir diese Fragen beantworten, wächst auch unsere Motivation, aktiv zu werden. Andernfalls sehen wir das Ausmisten nur als lästige Pflicht.“

Bloß kein Zwang

Das Wichtigste, so Psychologin Krahé, ist letztendlich, dass wir uns beim Ausmisten wohlfühlen und uns klarmachen: „Jeder hat eine eigene Vorstellung von Ordnung. Natürlich sollten wir uns fragen, ob wir etwa achtzehn verschiedene Flaschenöffner im Haus brauchen. Aber beim Ausmisten sollte kein Zwang herrschen. Wenn andere Menschen oder Medien uns vorgeben, was wir wegwerfen und wie wir unsere Wohnung in Schuss halten sollen, läuft etwas falsch. Die optimierte Gesellschaft gibt es nicht, und der externe Druck zur Selbstoptimierung macht uns nicht glücklich.“

Wenn Leidensdruck besteht, und die wachsende Unordnung zuhause sich negativ auf das Wohlbefinden auswirkt, ist Ausmisten letztendlich immer sinnvoll. Dann ist es befreiend, es ist ein Erfolgserlebnis – und hat dadurch einen positiven, energiespendenden Effekt.

Zur Person

Diplom-Psychologin Nathalie Krahé arbeitet als Coach in Frankfurt am Main in Bereichen wie Persönlichkeitsentwicklung, Organisations- und Personalentwicklung und hält Vorträge, Seminare und Workshops.