Movember und Krebsvorsorge
Was hat Männergesundheit mit Schnurrbärten zu tun und welche Vorsorgeuntersuchungen können Männer kostenfrei durchführen lassen? Erfahren Sie mir zum Thema Krebsvorsorge auf hkk.de.
Klassisches Symbol der Männlichkeit und Fruchtbarkeit: die Hoden. Mann passt gut auf sie auf, weiß er doch, wie empfindlich sie sind. Und dennoch wissen viele junge Männer gerade über das Risiko Hodenkrebs zu wenig. Experte Klaus-Peter Dieckmann klärt auf.
Typisch Mann: Wenn wir von biologischen Geschlechtern sprechen, gibt es einige Dinge, die wir ganz klar mit Männlichkeit verbinden. Dazu zählen natürlich die Hoden. In ihnen werden die Samenzellen (Spermien) für die menschliche Befruchtung produziert. Die Hoden produzieren aber auch das Geschlechtshormon Testosteron. Damit sind sie für die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale des Mannes verantwortlich, also etwa die tiefere Stimme, den Bartwuchs und andere Körperbehaarung. Auch der Aufbau von Muskulatur und Knochen werden durch das Sexualhormon beeinflusst.
Auch typisch Mann: Er nimmt es oft nicht so genau mit der Gesundheit und achtet weniger auf den eigenen Körper. Dabei wäre es besonders im Sinne der Krebsvorsorge wichtig, die eigenen Hoden regelmäßig auf Veränderungen zu untersuchen – besonders für jüngere Männer. Professor Klaus-Peter Dieckmann, ärztlicher Leiter des Hodentumorzentrums Hamburg, kennt das Problem: „Viele Jungen und junge Männer denken, dass Hodenkrebs ein Thema für die Älteren ist. Dabei sind sie selbst die Hauptrisikogruppe.“
Und gerade unter jungen Menschen herrscht oft nur mangelhaftes Wissen, wie Prof. Dieckmann unterstreicht: „Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigte: Nur 49 Prozent der befragten Gymnasialschüler konnte Fragen zum Thema korrekt beantworten. Weniger als zwei Drittel der Schüler wussten überhaupt über Hodenkrebs Bescheid. Und obwohl es hier um männliche Geschlechtsorgane geht, wussten die Mädchen über das Gesundheitsthema im Schnitt wieder einmal mehr als die Jungen. Man darf auch nicht vergessen, bei der Befragung handelte es sich um Gymnasiasten, und diese haben in der Regel eigentlich schon einen höheren Bildungsstand als andere.“
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Dabei ist es eigentlich nicht schwer, auf mögliche Gefahren zu achten. Manche sind sich vielleicht unsicher, ob zwei nicht in exakt gleicher Höhe hängende Hoden ein Zeichen von Erkrankung sind. Oder ob sie zu groß oder zu klein sind. Was ist also „komisch“? Facharzt Prof. Dieckmann nennt den wichtigsten, klarsten Faktor: „Aufmerksam sollte man immer dann werden, wenn sich etwas – im Laufe von Wochen oder Monaten – verändert. Wenn sich zum Beispiel eine Stelle an einem Hoden verhärtet, oder wenn ein Hoden auf einmal beträchtlich größer oder schwerer wird.“
Solche Veränderungen können die Betroffenen auf jeden Fall selbst wahrnehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie empfiehlt – auch auf Basis wissenschaftlicher Modellberechnungen – eine kurze, unkomplizierte Selbstuntersuchung einmal im Monat.
Für Männer zwischen 25 und 45 ist Hodenkrebs die häufigste Tumor-Neuerkrankung. Sie kann aber auch schon früher auftreten. Eine Selbstuntersuchung einmal im Monat ist unkompliziert und kostet kaum Zeit.
Ganz der Erfahrung entsprechend sind es sogar beim Hodenkrebs, einer Männerkrankheit, oft die Frauen, die genau auf die Gesundheit achten und Alarm schlagen: „Das kommt immer wieder vor, dass erst die Partnerin Veränderungen bemerkt oder auf sie reagiert. Sie ist dann diejenige, die zum Mann sagt: ‚Du hast da was am Hoden, das sieht seltsam aus. Bitte geh gleich zum Arzt!‘ Erst dann sucht der Mann tatsächlich medizinischen Rat. Das bekräftigt manchmal das Klischee, dass Frauen viel gewissenhafter auf den Körper achten – sogar auf den des Partners“, so Dieckmann.
Aufklärung ist also besonders unter jungen Männern wichtig. Man sollte keine Angst haben, bei bemerkten Veränderungen den Hausarzt aufzusuchen – und immer auch die guten Nachrichten im Kopf behalten. Experte Dieckmann nennt eine Zahl, die für sich spricht: „Der Hodenkrebs ist eine der großen Erfolgsstorys der Krebstherapie: 95 Prozent der Fälle können geheilt werden. Und diese Heilungsrate bezieht sich auf alle Stadien.“
Gerade die so guten Heilungschancen haben aber dazu geführt, dass das Prinzip der Selbstuntersuchung in Fachkreisen in Frage gestellt wird – unbegründete Ängste und Mehrkosten für unnötige Untersuchungen sind die Argumente der Gegenseite. Klaus-Peter Dieckmann bekräftigt aber die Position der Deutschen Gesellschaft für Urologie, dass die regelmäßige Selbstuntersuchung nutzbringend ist. „Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2020 etwa kommt zum Schluss, dass eine Selbstuntersuchung sogar bei gut zu behandelnden Tumorleiden empfehlenswert ist. Die Anzahl der Verstorbenen wird auch hier verringert.“
Selbst Patienten in einem späten Tumorstadium mit stark fortgeschrittenen Metastasen haben noch vergleichsweise gute Heilungschancen. Hodentumor-Experten wie Prof. Dieckmann ermutigten solche Menschen mit einem positiven Beispiel: „Wir haben da ein berühmtes Vorbild, mit dem wir diesen Patienten gerne Mut machen: Lance Armstrong. Auch der berühmte amerikanische Rennradfahrer war in einem späten Stadium. Metastasen waren sogar schon in der Lunge und im Gehirn. Und er wurde vollständig geheilt.“
Auch beim Hodenkrebs fragt man sich natürlich, welche Faktoren das Risiko erhöhen. Für Männer in Deutschland liegt die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben Hodenkrebs zu bekommen, bei circa 0,7 bis 0,8 Prozent. Schädliche Dinge wie Rauchen oder Alkohol haben bei dieser Krebsart keinen Einfluss, das Alter spielt hingegen eine wichtige Rolle: Hodentumore treffen meist 20- bis 40-jährige. „Die jüngsten Fälle kommen im Laufe der Pubertät, etwa mit 16 oder 17 Jahren. Für Männer ab 50 sinkt das Risiko beträchtlich – dabei sollte man nicht vergessen, dass dann das Risiko für andere Erkrankungen wie etwa Prostatakrebs steigt“, gibt Dieckmann zu bedenken.
Besondere Vorsicht ist angesagt, wenn Verwandte schon Hodenkrebs hatten. Dann besteht „familiäres Risiko“. Wenn zum Beispiel ein Bruder schon Hodenkrebs hatte, ergibt sich für einen Mann ein vier- bis fünffach erhöhtes Risiko. Prof. Dieckmann kennt einen weiteren, bemerkenswerten Faktor: „Auch Männer mit einer Körpergröße von über 190 Zentimetern haben ein erhöhtes Risiko. Wir wissen, dass sich die Gene und kalorienreiche Ernährung in den ersten Lebensjahren auf die Größe eines erwachsenen Menschen auswirken. Warum Hodentumore aber unter so großen Männern etwas öfter vorkommen, ist noch nicht wirklich geklärt.“
Auch ein sogenannter Hodenhochstand kann das Risiko erhöhen. Das bedeutet, dass ein Hoden nach der Geburt nicht im Skrotum, also dem Hodensack ist, sondern etwa in der Leiste oder im Bauchraum. Auch nach der Behandlung dieses Problems bleibt die Wahrscheinlichkeit für einen Tumor erhöht.
Für Männer, die ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen haben, ist Fruchtbarkeit selbstverständlich auch abseits von Hodentumoren ein Thema. Im Freundeskreis wie im Internet kursieren Gerüchte darüber, wie und ob man auf die Hoden Acht geben sollte. „Trag bloß keine engen Unterhosen. Und mach im Auto ja nicht die Sitzheizung an!“ Professor Dieckmann nennt solche Tipps euphemistisch „diskussionswürdig“, denn keine Studie belegt hier einen Zusammenhang. „Eine Krampfader am Hoden kann die Samenproduktion negativ beeinflussen, weil der Hoden dadurch wärmer wird. Aber Spekulationen über Unterhosen oder die Heizung im Auto sind äußerst fragwürdig.“
Ähnliches gilt übrigens für andere Phänomene und Gerüchte, die gerade in der jüngeren Bevölkerung kursieren. „Kavaliersschmerzen“ oder „Blue Balls“, also Hodenschmerzen, weil man gerade erregt war, aber nicht zur Ejakulation kommen durfte, stellen keine ernsthaften gesundheitlichen Gefahren dar. „Die Schulmedizin kann mit solchen Mythen nichts anfangen“, beruhigt Dieckmann.
Wenn ein Hoden aber im Zuge einer Tumorbehandlung entfernt wurde, kann die Fruchtbarkeit tatsächlich leiden. Generell kann man auch mit einem Hoden Kinder zeugen, aber zum Beispiel eine Chemotherapie, die sich genauso auf den gesunden Hoden auswirkt, kann die Chancen mindern. Deshalb gibt es heute vor einer OP das Angebot, vorher Spermien einfrieren zu lassen. Die Kosten hierfür werden inzwischen von den Krankenkassen übernommen.
Auch ein Hoden-Implantat wird Patienten immer angeboten. „Nur ein Viertel der Betroffenen nimmt dieses Angebot aber wirklich an. Das ist sehr altersabhängig. Je älter der Patient, umso weniger Interesse hat er an einer Prothese,“ weiß Prof. Dieckmann.
Die Basics über Hoden sind vielen wohl klar, aber auch nicht alles: Die pflaumenförmigen Fortpflanzungsorgane befinden sich paarweise im Hodensack (Skrotum). Dass sie quasi ungeschützt „außerhalb“ zu finden sind, liegt an der Temperatur, die für die Samenproduktion notwendig ist. Der menschliche Körper ist mit rund 37 Grad Celsius zu heiß, im Hodensack beträgt die Temperatur nur 34 bis 35 Grad.
In den Hoden eines geschlechtsreifen Mannes werden täglich bis ins hohe Alter rund 200 Millionen Spermien produziert, deren Reifung etwa zwei Monate dauert. Gespeichert werden die Samenzellen dann im Nebenhoden. Er liegt dem Hoden oben und hinten wie eine Kappe auf. Von dort verbindet der Samenleiter den Hoden mit der Harnröhre in der Prostata. Diese produziert mit der Bläschendrüse die Samenflüssigkeit. Mit dieser Flüssigkeit werden die Spermien bei der Ejakulation über die Harnröhre ausgestoßen.
Prof. Dr. Klaus-Peter Dieckmann ist Facharzt für Urologie. Nach 23 Jahren als Chefarzt an der Urologischen Klinik des Albertinen Krankenhaus Hamburg ist er seit 2017 Ärztlicher Leiter des Hodentumorzentrums Hamburg (Asklepios Klinik Altona). Der international anerkannte Experte führt zahlreiche Projekte der klinischen Forschung zum Thema Hodenkrebs durch.